Fachtag
„Licht an! Sexuell grenzverletzende Kinder und Jugendliche in den Blick nehmen.“

Donnerstag, 13. Okt. 2022
09:30 bis 16:30 Uhr
Caritas-Pirckheimer-Haus Nürnberg
Programm
09:30 GRUSSWORTE
Dr. Christiane Nischler-Leibl, Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, StMAS, Leitung der Abteilung VI „Frauenpolitik, Gleichstellung und Prävention“
Frank Schmidt, Stellvertretender Jugendamtsleiter Stadt Nürnberg, Bereichsleitung Soziale Dienste und Erzieherische Hilfen
Christine Goldberg, Schlupfwinkel e.V., Geschäftsführende Vorständin
10:00 IMPULS
Rückfallprävention mit jugendlichen Misshandlern – Organisatorische und inhaltliche Rahmenbedingungen für diese Arbeit
Der Vortrag wird die inhaltlichen und strukturellen Rahmenbedingungen der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen im Kontext von sexuellen Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt beschreiben. Die Zugangswege aus den unterschiedlichen Arbeitsbereichen werden auch aufbereitet und präsentiert. Was ist hilfreich, dass die Rückfallprävention in diesen Kontexten zielführend angeboten werden kann, aber auch angenommen wird?
Ausgangspunkt sind die Erfahrungen aus 25 Jahren „Täterarbeit“ und die inhaltlichen Impulse aus Literatur und Fortbildungen.
Urban Spöttle-Krust, Dipl.-Pädagoge, Gestalttherapeut, Anlaufstelle gegen sexualisierte Gewalt, Rems-Murr-Kreis
11:00 VORTRAG
Das große Tabu – Sexualisierte Gewalt durch Geschwister
Auf der Basis internationaler Forschungsergebnisse werden umfangreiche Grundlagenkenntnisse und Handlungsimpulse vorgestellt.
Sexualisierte Gewalt durch Geschwister gilt als eine der am häufigsten auftretenden Formen sexualisierter Gewalt und zugleich als eines der größten Tabus. In diesem Vortrag werden u.a. Kenntnisse zu den Themen: Erscheinungsformen (in Abgrenzung zu Doktorspielen), Familiencharakteristika, Chronifizierung des Tatverhaltens, Folgen für Betroffene und Handlungsimpulse vermittelt.
Prof . Dr. Esther Klees, Professorin für Soziale Arbeit an der IU Internationale Hochschule, Standort Dortmund
12:00 MITTAGSPAUSE
13:00 VORTRAG
Hilfebedarfe für sexuell grenzverletzende Jungen und von sexualisierter Gewalt betroffene Jungen – Ein Vergleich
Anhand von Beispielen aus der Fachpraxis werden Übereinstimmungen und Unterschiede in Bezug auf die Hilfebedarfe sexuell grenzverletzender und sexuell viktimisierter Jungen herausgearbeitet. Neben psychologischen Aspekten, die sich auf das Erleben und Bewältigen der Jungen beziehen, wird die jeweilige Bedeutung der Umfeldarbeit begründet. Zudem werden Implikationen für die Strukturen des Hilfesystems vorgeschlagen.
Dr. Peter Caspari, Dipl.-Psychologe; Beratungsstelle KIBS, Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) München
14:00 WORKSHOPS
15:30 MARKT DER MÖGLICHKEITEN
Infostände, Austausch und Vernetzung.
16:15 VERABSCHIEDUNG
Workshops
Jugendliche mit sexuell grenzverletzendem Verhalten kommen als „ganze Menschen“ auf unsere Wohngruppe. Sie bringen ihre Lebensgeschichten und Ihre Entwicklungsaufgaben mit. Die pädagogische Arbeit geht deutlich über die Bearbeitung des grenzverletzenden Verhaltens hinaus. Uns ist wichtig, die jungen Menschen ein Stück auf ihrem Weg zu begleiten, sie zu unterstützen, Vergangenes aufzuarbeiten und eine Perspektive für das Leben nach der Unterbringung aufzuzeigen. Wir versuchen, Entwicklungsräume anzubieten und dabei die Waage zwischen (notwendigen) Kontrollen und Vertrauen nicht aus den Augen zu verlieren. Gerne stellen wir im Rahmen dieses Workshops unsere Arbeit vor und freuen uns auf eine angeregte und bereichernde Diskussion.
Sabine Brünning und Fabian Frank, Dipl. Sozialpädagogin und Jugend- und Heimerzieher, Heilpädagogisches Kinder- und Jugendhilfezentrum Sperlingshof, Remchingen
Workshop 2: Elternarbeit bei sexualisierter Gewalt durch Geschwister: unverzichtbar, aber sehr komplex
Bei sexualisierter Gewalt durch Geschwister sollte die Aufmerksamkeit des Helfer*innensystems nicht ausschließlich auf das übergriffige Kind gerichtet sein. Behandlungserfolge hängen sehr stark vom Verhalten der Eltern ab – das wird häufig übersehen. Im Workshop erfolgt eine Annäherung an das Thema. Es sollen eigene Ideen zur Ausgestaltung der Elternarbeit entwickelt werden.
Prof . Dr. Esther Klees, Professorin für Soziale Arbeit an der IU Internationale Hochschule, Standort Dortmund
Workshop 3: „Und was wenn`s doch passiert?“ – Handlung & Haltung bei sexuellen Grenzverletzungen unter Kindern und Jugendlichen in pädagogischen Einrichtungen
Die Offenbarung / der Verdacht eines sexuellen Übergriffs unter Kindern/Jugendlichen innerhalb einer Einrichtung stellt für alle Beteiligten im (teil-)stationären Jugendhilfebereich eine enorme Herausforderung dar, wirft Fragen und Unsicherheiten auf und löst emotionalen Stress aus. Das pädagogische Personal steht dabei oftmals vor dem Dilemma, schnelle Entscheidungen treffen zu müssen. Voraussetzung für eine möglichst umfassende Handlungssicherheit in sexuellen Übergriff-Situationen unter Kindern / Jugendlichen in der Einrichtung stellt eine klare persönliche Haltung zum Geschehenen dar. Wir befassen uns in diesem Workshop anhand von Fallbeispielen mit Grundsätzen im Umgang mit Grenzverletzern und Betroffenen sowohl in Bezug auf das pädagogische Handeln als auch auf die Haltungsarbeit.
Michael Klement und Frank Tschiesche, Dip. Sozialpädagogen, Schlupfwinkel e.V., Jungenbüro, Nürnberg
Workshop 4: Abgrenzung Doktorspiele vs. kindliche sexualisierte Übergriffe
Die Unterscheidung zwischen sexuell angemessenem und sexuell grenzverletzendem Verhalten von Kindern stellt die Fachpraxis immer wieder vor Probleme. Im Workshop werden mögliche Unterscheidungskriterien und entsprechende Interventionsoptionen diskutiert.
Dr. Peter Caspari, Dipl.-Psychologe, Beratungstelle KIBS , Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) München
Workshop 5: Pornös oder was?! – Wie man Jugendlichen Wissen über Pornos und die rechtliche Situation dazu vermitteln kann
In diesem Workshop werden wir uns anschauen, wie und aus welchen Motiven heraus Jugendliche Pornografie nutzen. Wir kommen darüber ins Gespräch, wie pornografische Inhalte im sexuell grenzverletzenden Verhalten eingesetzt werden und wie man dem begegnen kann. Abgerundet wird der Workshop mit einem Quiz über die rechtliche Situation und typische Pornolügen, die ein falsches Bild von Sexualität und Druck auf die Mädchen und Jungen aufbauen.
Michael Kröger, Dipl.-Sozialpädagoge und Sexualpädagoge, Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V.
Workshop 6: Jugendliche Misshandler im Panoramafenster – Facetten der Erscheinungsformen und erforderliche Formate für die therapeutisch orientierte Beratungsarbeit
Anhand von Fallbeispielen wollen wir im Workshop die unterschiedlichen Erscheinungsformen, wie die jugendlichen Misshandler zur Rückfallprävention im Kontext der sexualisierten Gewalt angefragt werden, betrachten. Angefangen vom hochbegabten Gymnasiasten (19 J.), der seine Mitschülerin sexuell nötigt, über die Jungs im Alter von 12 Jahren (Versenden von sexualisierten Bildern), bis hin zu den Jugendlichen mit den verschiedenen Beeinträchtigungen (Autismus-Spektrums-Störung, FASD, Lernbehinderung, Sprachstörung, u.v.m.), die Übergriffe begehen. Was brauchen die einzelnen Jugendlichen, dass sie sich ihren begangenen Grenzverletzungen stellen und in eine Verantwortungshaltung kommen? Was sollte ich als Berater*in / Therapeut*in bereitstellen, damit eine integrativ wirkende Arbeitsbeziehung entstehen kann?
Urban Spöttle-Krust, Dipl.-Pädagoge, Gestalttherapeut, Anlaufstelle gegen sexualisierte Gewalt, Rems-Murr-Kreis
Anmeldung
Projekt "Flutlicht"
Wo es Betroffene von sexualisierter Gewalt gibt, gibt es auch immer übergriffige Personen. Sexuelle Grenzverletzungen oder Übergriffe passieren nicht einfach so, sondern haben stets einen ganz persönlichen Hintergrund mit einer eigenen Entwicklungs-, Beziehungs- und Sexualbiographie. Unabhängig davon ist sexualisierte Gewalt niemals zu tolerieren. Gleichzeitig ist es genauso wenig eine nicht veränderbare Verhaltensgewohnheit! Dabei ist jedoch wichtig, auf sexuell grenzverletzendes/übergriffiges Verhalten frühzeitig durch konsequente pädagogisch-therapeutische Maßnahmen zu reagieren um einer Chronifizierung entgegenzuwirken.
Mit dem Projekt FLUTLICHT bietet das Jungenbüro Nürnberg ein seit 2020 vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales gefördertes Beratungsangebot für sexuell grenzverletzende Kinder und Jugendliche aus dem nordbayerischen Raum an. In einem längerfristig begleitenden Prozess zur Rückfallprophylaxe werden dabei im Einzelsetting mit den Klienten u.a. folgende Bausteine aktiv bearbeitet:
- Rekonstruktion des Tathergangs (Deliktorientierung)
- Verantwortungsübernahme (Konfrontation)
- Auflösen von kognitiven Verzerrungen
- Einstellung/Wertehaltung (zum Geschehenen)
- Wahrnehmung der eigenen Täterstrategie(n)
- Wahrnehmung der Folgen für den/die Betroffene
- Eigene/fremde Grenzen erkennen und akzeptieren (Nähe-Distanz-Regulation)
- Förderung der Selbstkontrolle
- Aufbau eines positiven Selbstbilds
- Sexualbildung („legales und gesundes Sexualitätsverständnis“)
- Entwicklung und Erprobung alternativer/anti-manipulativer Verhaltensweisen
- Förderung allgemeiner sozialer Kompetenzen
- Zugang zu/Umgang mit Emotionen
- Empathiefähigkeit
Parallel zum grenzverletzenden Jungen arbeiten wir auch mit dem Eltern-/Bezugssystem, um eine Integration der Lerninhalte in den Alltag sowie eine Stabilisierung des gesamten Lebensumfelds zu gewährleisten.
Sexuell grenzverletzende/übergriffige Jungen können aus eigener Motivation heraus sowie aufgrund externen Drucks (Familie, Institution, im Rahmen des jugendgerichtlichen Strafverfahrens) in den FLUTLICHT-Beratungsprozess einsteigen.